Autographen und Buecher

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Georg Kinsky

Brahms als Autographensammler

"Wann hört der Himmel auf zu strafen
Mit Albums und mit Autographen?"

"Wenn wir es endlich lassen bleiben,
In's Narrenbuch uns einzuschreiben!"

Die Gilde der Bücher- und Handschriftensammler darf ebenso wie Goethe auch Johannes Brahms mit Stolz zu den ihrigen zählen. Unter den Meistern der Tonkunst ist er der einzige, der ausgesprochene antiquarisch-bibliophile Neigungen besaß, dem Umgang und Beschäftigung mit seltenen Büchern, alten Notendrucken und wertvollen Autographen nicht nur ein ständiger Genuss, sondern ein wirkliches Lebensbedürfnis war, für das er wie alle echten Sammler kein Opfer scheute. Schon in früher Jugend offenbarte sich seine Bücherliebhaberei, zu der sich später (nach dem Hinweis seines Biographen Max Kalbeck) noch die Leidenschaft für Originalausgaben deutscher Dichter, für Kupferstiche und Radierungen - zumal der Blätter Callots und Chodowieckis - und die beutegierige Lust an Handschriften gesellte. Dieser schon früh betriebenen emsigen Beschäftigung mit allen ihm erreichbaren Literaturdenkmälern und Quellenwerken verdankte Brahms seine im vollen Sinne des Wortes selbsterworbene Bildung und seine ausgebreitete Kenntnis auch entlegener Gebiete der Welt- und Kulturgeschichte, des deutschen und fremden Schrifttums, der Musikgeschichte und Musiktheorie, durch die er oft genug selbst Fachgelehrte in Erstaunen setzte. - Zumal nach seiner dauernden Übersiedlung in die Kaiserstadt Wien (1869), als er seinen Lieblingsneigungen sozusagen an der Quelle frönen konnte und ihm die wachsenden Erträgnisse seiner Kompositionen und Konzertreisen allmählich zu behaglichem Wohlstand verhalfen, vermehrten sich seine Sammlungen von Jahr zu Jahr um manche erlesene Stücke. Und nichts bereitete ihm - wie es z. B. Carl Reinecke bezeugt - größere Freude, als seine angehäuften Schätze verständnisvollen Freunden und Besuchern zu zeigen und mit ihnen zu durchmustern.

In einem 1875 an Richard Wagner geschriebenen Briefe bekennt Brahms, dass er, "ohne eigentlich Sammler zu sein, doch gern Handschriften, die ihm wert seien, bewahre." Auf seinen Besitz an Urschriften seiner großen Vorgänger und Zeitgenossen im Bereiche der Tonkunst war er besonders stolz. Die Perle seiner Sammlung war unstreitig die Partitur der g-moll-Sinfonie Mozarts, die ihm 1865 die Prinzessin und spätere Landgräfin Anna von Hessen als wahrhaft fürstliches Dankgeschenk für die Zueignung seines Klavierquintetts Op. 34 gespendet hatte. Andere Hauptstücke seiner Autographenmappen waren die unter dem Namen der "Sonnenquartette" bekannten sechs Streichquartette Haydns vom Jahre 1772, eine Menge Skizzenblätter Beethovens, eine vom Meister verbesserte Abschrift der "Missa solemnis" und ein umfangreiches Skizzenbuch zur Hammerklaviersonate Op. 106, die dem Sänger L. Berger gewidmeten sechs Lieder C. M. v. Webers Op. 15, die Motette "Mitten wir im Leben sind" (Op. 23 Nr. III) von Mendelssohn, die "Davidsbündlertänze" Op. 6, drei Orchesterwerke - die d moll-Sinfonie Op. 120 in der ersten Fassung, Ouvertüre, Scherzo und Finale Op. 52 und die Ouvertüre zur "Braut von Messina" Op. 100 - und der Klavierauszug der "Szenen aus Goethes Faust" Robert Schumanns, drei Stücke Chopins, die Ballade "La mort d'Ophelie" von Berlioz, vier Ouvertüren Joachims, Heines Lied vom Fischermädchen in der Vertonung Grillparzers, ein Klavierstück Liszts, der Konzertschluss zum Vorspiel zu "Tristan und Isolde" von Richard Wagner, mehrere Manuskripte Clara Schumanns u. a. in. Eine besonders reichhaltige Gruppe bildeten die Handschriften Franz Schuberts, darunter der Streichquartettsatz in c-moll, die Lieder "Der Wanderer", "Morgenlied", "Der zürnenden Diana" und über 90 der anmutigen Tänze (Deutsche, Ländler und Ecossaisen), denen Brahms' besondere Liebe galt.

Dazu kam noch eine gewichtige Anzahl eigener Schöpfungen: außer seinem Hauptwerk, dem "deutschen Requiem" Op. 45, das er schon zu Lebzeiten (1893) der Gesellschaft der Musikfreunde auf deren Wunsch übergeben hatte, u. a. die Kammermusikwerke Op. 99, 101, 111, 115, das Doppelkonzert Op. 102, die Fest- und Gedenksprüche Op. 109, die vier ernsten Gesänge Op. 121 und sein Schwanengesang, die Choralvorspiele für Orgel Op. 122. Dass Brahms die Selbstschriften seiner späteren Werke zurückbehielt und seinem Verleger Simrock Abschriften als Druckvorlagen sandte, ist einer Anregung Kalbecks zu danken, der ihn darauf hinwies, dass er durch die Überlassung seiner Manuskripte dem Verleger mindestens dreimal soviel schenkte als sein Honorar betrug. (Die "Probe aufs Exempel" lieferte der 1901 bezahlte Kaufpreis von 36.000 Schw. Franken für die Partitur der 4. Sinfonie, die Züricher Verehrer dem Komponisten Friedrich Hegar zu seinem 60. Geburtstage als Geschenk überreichten).

Die gesamten Musikautographen aus Brahms' Besitz sind ungeteilt zusammengeblieben und als kostbares Vermächtnis der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zugefallen. Die in nicht rechtsgültiger Form abgefasste Niederschrift seiner letzten Willenserklärung hat es leider verschuldet, dass die zu seiner Sammlung gehörenden belangreichen literarischen Manuskripte nebst den Musiker- und Dichterbriefen nicht ebenfalls in das Museum der eigentlich zu seiner Universalerbin bestimmten Gesellschaft gelangt, sondern später verstreut worden sind. Dazu zählten u. a. der Cholera-Aufsatz Ludwig Börnes, "Einige Worte über Musik" von Schopenhauer, Gedichte G. Fr. Daumers, die "Nachhaltige Dorfgeschichte" Gottfried Kellers, Entwürfe zu Operntexten Turgeniews und Paul Heyses, Briefe von Leopold und Wolfgang Mozart, Beethoven, Cherubini, Goethe, Schiller, Hölderlin (an Hegel), E. T. A. Hoffmann, Keller, Ludwig II. und Richard Wagner usw.

Den vielfachen Anforderungen der landläufigen Autographensammler (oder -jäger) brachte der ohnehin alles andere als schreiblustige Komponist nur sehr geringes Wohlwollen entgegen. Diese Abneigung bekundet sich auch darin, dass er für die von ihm erbetenen Stammbuchblätter gern einen Rätselkanon wählte, bei dem das Rätsel nicht nur in der musikalischen Einkleidung, sondern auch in der Textunterlage zu suchen war. Der Text bestand nämlich nur aus dem einzigen Worte "Wann?" und dem beigefügten Namen Ludwig Uhlands. Nur die Eingeweihten wussten, dass damit des schwäbischen Dichters Stoßseufzer

"Wann hört der Himmel auf zu strafen
Mit Albums und mit Autographen?"

gemeint sei - eine rhetorische Frage, auf die Karl Simrock die boshafte Antwort erteilte:

"Wenn wir es endlich lassen bleiben,
In's Narrenbuch uns einzuschreiben!"

Brahms als Autographensammler. Von Dr. Georg Kinsky. In: Der Autographen-Sammler. Eine monatlich erscheinende Katalogfolge des Hauses J. A.  Stargardt, Berlin. Jg. II, Nr. 2, Juli 1937.

Mit freundlicher Genehmigung der Firma J. A. Stargardt, Berlin.





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